Inhaltsverzeichnis | |||||
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Meine Kindheitserinnerung | |||||
Das Tack-Tack, Tack-Tack der Räder auf den Schienen wurde langsamer. Erwartungsvoll schauten wir aus dem Fenster und suchten das Bahnhofsgebäude aus roten Backsteinen und dahinter den Wagen mit den beiden Füchsen. Der Zug kam schließlich rumpelnd, mit verhallendem Pufferklappern zum Stehen. Die Lokomotive zischte leise. Einzelne Türen wurden geöffnet und dann hörte man draußen den langgezogenen Ruf des Zugschaffners: "Baldenburg!" Wir stiegen aus und gaben an der Schranke unsere Fahrkarten ab. Da stand Opa. Er hatte in der Bahnhofsgaststätte gewartet und sich einen Schnaps genehmigt. Franz Fehlberg war ein schlanker, eher kleiner Mann mit einem Schnurbart, der an den Enden - wenigstens an Feiertagen - nach Art des letzten Kaiser in die Höhe gezwirbelt wurde, was ihm ein leicht verwegenes Aussehen gab.
Nach der freudigen Begrüßung stiegen wir auf den Wagen. Das war nun leider keine elegante Kutsche, Mist aufs Feld gefahren wurde. Für die Fahrt "in die Stadt" und den Besuch aus Berlin war quer zwischen die seitlichen Bretter eine Bohle gelegt worden, auf der man sitzen konnte. Ich bekam natürlich den Ehrenplatz neben Großvater, meine Mutter saß rückwärts hinter uns, denn alle paßten nicht nebeneinander. Opa zog die Zügel an, ließ sie leicht auf die Rücken der Pferde klatschen, rief "Hüa!" und los ging's. Meist fuhren wir nicht durch die Stadt, sondern auf der östlichen Höhe zur Rummelsburger Straße und am Friedhof vorbei. Die neue Straße war erst in den dreißiger Jahren gebaut worden. Auf halben Wege lag das Dorf Schönberg. Bald dahinter machte die Straße eine Bogen um den 229 m hohen Baumberg. Hier war die alte Grenze zwischen Westpreußen und Pommern und von dieser Stelle konnte man in der Ferne Hölkewiese liegen sehen.Am seinem westlichen Dorfeingang vereinigten sich die von Baldenburg und Bublitz kommenden Chausseen. Zwischen beiden schaute das Wohnhaus des Schmiedes Wenzlaff durch einen Tunnel aus Linden unterschiedlichen Alters die leicht ansteigende Dorfstraße hinauf, welche mit unbehauenen Feldsteinen gepflastert war. Linker Hand lag der Hof des Bauern Berndt; gegenüber wohnten Lawrenzen. Auf der Nordseite der Straße folgte das Gehöft von Walter Beß, der unser Nachbar und ein Neffe meines Großvaters Franz Fehlberg war. Visavis stand mit dem Giebel zu Straße ein altes, strohgedecktes Fachwerkhaus, das dem unsrigen glich. Es wurde nach seinen letzten Bewohnern das "Bansemersche" benannt und gehörte zur Kirche, die sich etwas weiter aufwärts auf einem Hügel erhob inmitten des alten Friedhofs, der von großen Bäumen und Rosenbüschen dicht bestanden und von einer verfallenen Feldsteinmauer umgeben war. Die Dorfkirche aus roten Ziegeln und mit einem spitzen Turm war ein nüchterner Bau des neunzehnten Jahrhunderts. Wieder gegenüber folgte hinter dem Bansemerschen Feld der Hof von Albert Gleß, darauf das winzige, feldsteinerne "Spritzenhaus", das Schamunsche Gehöft und der Dorfkrug von Max Knuth an. Hinter der Kirche, gegenüber vom Krug, lagen die Häuser von Kuchenbecker, dem "Chausseekratzer" und vom Schneider Glashagen, welch' letzterer aber auch die Haare schnitt. Dann fehlten auf beiden Seiten der Straße die Höfe, wenn man von denen der Kackeldeys und Ficks (zu meiner Zeit hieß der Bauer schon Biging) absieht, die etwas entfernt rechter Hand lagen. Im oberen Teil des Dorfes residierte die Obrigkeit, nämlich Bürgermeister Damerow und "Gutsbesitzer" Bethge.
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