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Die Fahrt nach Hölkewiese am 6. Juli 1996

Am Sonnabend bin ich zum ersten Mal nach 51 Jahren wieder in Hölkewiese gewesen. Diese Reise in die Vergangenheit, in die Heimat, in die Kindheit hatte ich schon lange vorgehabt. Mindestens ab 1978, als ich geschäftlich zweimal in Warschau war, wäre es möglich gewesen. Später, als sowohl West-Berliner als auch DDR-Bürger ziemlich leicht nach Polen einreisen konnten, hatten Onkel Erich, der in Ostberlin wohnte, und ich darüber geredet. Nach der Wende war ich oft in Stettin und es wäre mit dem Auto wirklich nur noch ein Sprung gewesen. Aber ich ließ sogar den 50. Jahrestag verstreichen....


Der Bahnhof von Baldenburg

Das Wetter war regnerisch; erst am Nachmittag kam kurz die Sonne durch. Wir wählten den Grenzübergang Küstrin, mußten aber, weil viele am Wochenende zum Einkaufen über die Grenze wollten, anderthalb Stunden warten. Als kürzesten Weg von rechnerisch 292 km hatte ich mir vorher die Route Küstrin, Landsberg an der Warthe, Deutsch Krone, Neustettin, Baldenburg, Hölkewiese ausgedacht. Aber schon unmittelbar nach der Grenze machten wir einen Fehler und gerieten auf die Straße nach Posen. Das merkten wir erst in Slonsk (Sonnenburg) und überquerten bei Krzeszyce (Kriescht) die Warthe. So lernte ich die Wartheniederung kennen, die dem Oderbruch recht ähnlich ist. Gorzow Wielkopolski (Landsberg an der Warthe) war der größte Ort auf unserer Reise. Er machte auf mich den gleichen Eindruck wie Stettin: Die alten deutschen Bauwerke befinden sich in einem schlechten, ungepflegten Zustand, aber die neuen sehen meist noch schlimmer aus. Nur die Kirchen sind einigermaßen in Ordnung. Hinzu kommt der Mangel an frischen Farben, aber auch der für uns fremdartige Geschmack der Polen, insbesondere die "sozialistisch" wirkenden Versuche mit "moderner" Kunst, die man selbst an Privathäusern beobachten kann. In den Straßen herrschte lebhaftes Treiben, Fußgänger, viele Autos und rumpelnde Straßenbahnen nicht nur in Gorzow. Nach einsamer Fahrt über schnurgerade Chausseen und durch endlose Wälder waren wir jedesmal von den Städten überrascht.

Neustettin (Szczecinek) war der erste Ort, den ich schon aus der Kindheit kannte, denn dort sind wir in den Zug nach Baldenburg umgestiegen. Von der Straßenbrücke blickten wir kurz hinunter auf den Bahnhof, aber ich erkannte nichts wieder. Wir näherten uns Baldenburg, Bialy Bor nennen es die Polen. Jetzt wurde es spannend; von dieser Seite war ich früher nie in die Stadt gekommen. Die Chaussee wand sich in Kurven hinunter in den Talkessel. Wasser blitzte zwischen Dächern und Bäumen auf. Dann sah ich am gegenüberliegenden Hang das vertraute neugotische Amtsgericht. Auf einer großen, leeren Fläche warteten Leute an Haltestellen, an ihrem Ende unter Bäumen ein kleines Kirchlein. War das der frühere Marktplatz? Schon ging’s wieder bergan, eine Straßenkreuzung, ein Wegweiser "Slupsk, Miastko, Czluchow". Rechts, auf der Hochfläche eine Umgehungsstraße. Die kam mir bekannt vor. Lag da nicht früher der Schlachthof, wo die Pferde immer unruhig wurden? Hier mußte es zum Bahnhof gehen. Vielleicht ließ sich da eine Spur aufnehmen. Vor den Schienen bogen wir links ein und tatsächlich, das war das alte Gebäude. Wir stiegen aus und gingen zu des Gleisen. Ja, hier waren wir von Berlin angekommen und abgefahren. Nur Opa kam diesmal nicht um die Ecke, um uns mit den Pferden abzuholen.

Ortseingang Hölkewiese von Baldenburg kommend

Zurück fuhren wir nochmals hinunter zur Stadt und an ihrem Ende wieder hoch. Linker Hand glaubte ich das Haus von Belows am Stadtteich zu erkennen. Ja, das mußte der Weg nach Hölkewiese sein und wie zur Bestätigung sah ich das Schild "Koltki" - Hölkewiese! Oben schien mir die Gegend sehr verändert. Früher konnte man über die Felder hinweg das Dorf Schönberg sehen, jetzt versperrten Bäume die Sicht. Schon hier zeigte sich, was dann in Hölkewiese noch deutlicher wurde: der Wald war dabei zurückzuerobern, was ihm über Jahrhunderte in harter Arbeit abgerungen worden war. Hatte ich nicht gelesen, die alten Wenden seien Waldbewohner gewesen? Die fünfzig Jahre älteren und entsprechend größeren Straßenbäume ließen die Chaussee sehr schmal erscheinen, kaum daß man einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen könnte. Der Abzweig zur Salnitz war nicht zu erkennen. Schönberg kam mir vor wie ein Dornröschendorf: alles zugewachsen. Auf Dämmen und durch Einschnitte wand sich die Straße weiter. Zu beiden Seiten zwischen niedrigem Kiefernwald und Büschen lagen einige Höfe, aber nur wenige Felder waren zu sehen. Jetzt mußte doch links bald der Baumberg erscheinen. Da sah ich in der Ferne ein grünweißes Gebäude: die umgebaute Schule von Hölkewiese! Ich hielt, wo waren wir? Schon am Baumberg vorbei? Ich holte das Meßtischblatt hervor. Um mich zu überzeugen, fuhren wir noch mal zurück. Tatsächlich, der niedrige Hügel dort, das mußte er sein und das Gehöft davor der Warmbiersche Hof. Der Feldweg auf der anderen Straßenseite führte sicher zum Hof von Robert Beß. Ich wendete zurück.


Das Haus von Walter Beß. Stall und Scheune 1945 abgebrannt.
Davor steht Frau Krüger

Alle Felder zum Grand hin bis an Wenzlaffs Hof heran sind jetzt aufgeforstet, der Feldweg zum Schöntal hin führt durch Wald. Hier hielt ich kurz an. Das Gehöft des Schmiedes kam mir wenig verändert vor. Das Lawrenzsche und das Beßsche Haus dahinter sahen genauso aus wie auf den Fotografien von 1991. Ich fuhr weiter und parkte den Wagen vor der Kirche, auf dem Hof des früheren Bansemerschen Hauses, wo wir nach dem Kriege gewohnt hatten. Wir stiegen aus und sahen uns um. "Wo stand denn nun das Fehlbergsche Haus?" fragte einer. Die Stelle war mit Büschen und Bäumen, die bis zu einem klapprigen Zaun an der Straße reichten, dicht bewachsen. Aber die Grenze zum Kirchenland war gut zu erkennen; dort wuchs Roggen. Von der Scheune keine Spur, nur hohes Gras. Eine kleine Frau kam aus Beßens Haus und sah zu uns herüber. Ich ging ‘rüber und stellte mich vor. Sie sei Frau Krüger und sie freue sich über unseren Besuch. Ja, es kämen öfter alte Hölkewieser und dann erzählte sie von Friedchen Beß und daß sie das Grab von Robert und seiner Tochter auf dem Friedhof pflege. Ob wir nicht ‘reinkommen wollten.

Das soll der Backofen gewesen sein?
Wir aber wollten erst einmal nach Spuren suchen. Ein kleiner angepflockter Hund bellte fortwährend. Eine Wäscheleine spannte sich zwischen Stangen. Den Beßschen und den Fehlbergschen Hof trennte kein Zaun mehr und keine Hecke. Dort, wo unsere Scheune gestanden hatte, war nicht einmal eine Erhöhung zu sehen. Vom Roßwerk mußte doch etwas übriggeblieben sein? Auch nichts. Einer der Jungens meinte: "Nächste Mal bringen wir ein Minensuchgerät mit!" Einige größere Obstbäume schienen noch aus Oma Garten zu stammen. Zum Feld hin standen große Tannen, die linken wohl auf Beßens Grund. Die rechten hatten sich gewiß aus den Bäumchen entwickelt, hinter denen sich Opa beim Einmarsch der Russen verstecken wollte. Und der Hügel dort, das war, wie eine kurze Untersuchung bewies, der Fehlbergsche Backofen, der schon vor Kriegsende eingestürzt war.

Ein flache Mulde ließ sich als die Abfallkute hinter dem Stall deuten, von diesem selbst war unter dem Strauchwerk nichts zu sehen. Im feuchten Gras bekamen wir nasse Füße. Wo waren bloß die Kalksandsteine des doch recht neuen Bauwerks geblieben? Hatte sie einer gebrauchen können? Schließlich fanden wir im Dickicht eine rechteckige, mit Feldsteinen ausgemauerte Grube mit wenigen weißen Mauersteinen auf der Umrandung. Das war wohl der Keller unter der Schweineküche und die einzigen Reste des Stalles.


Der alte Birnbaum

Das Gebüsch wurde noch dichter. Waren das alte Obstbäume? Jetzt mußten wir bald am Haus sein. Nein, das konnte nicht wahr sein! Da stand vor uns der uralte Birnbaum mit dem S-förmigen Stamm und den drei verschiedenen Früchten! Viel war von ihm nicht mehr übrig. Viele Äste waren vertrocknet, aber an einigen Stellen war er immer noch belaubt. Der nahezu waagerechte Teil seines bemoosten Stammes, auf dem man früher sitzen und die Beine baumeln lassen konnte, befand sich jetzt dicht über dem Boden. Nicht, daß er versunken wäre: das Gelände war mit der Zeit angewachsen. Vom Haus selbst aber war nur noch eine leichte Erhebung im Gesträuch auszumachen.


Die Dorfkirche von Hölkewiese
Wieder auf der Straße stiegen wir zur Kirche hinauf und schauten durch ihre Fenster. Drinnen gab es hölzerne Bänke, waren es die alten? Auf einem Stuhl stand eine puppenhafte Jungfrau Maria. Das Kriegerdenkmal vor dem Eingang war verschwunden. "Wo habt ihr denn nun die Milchkanne vergraben?" wollte jemand wissen. Ich zeigte auf die Stelle: "Ungefähr dort.

Merkwürdigerweise stand von den Bauten des Hofes von Gleß Albert allein noch die hölzerne Scheune, die nach dem Kriege Opa Fehlberg anstelle seiner eigenen benutzt hatte. Das Feuerwehrhäuschen aus Granitsteinen schien völlig unverändert, ebenso das Kuchenbeckersche Haus.

Der Schamunsche Hof wurde bewirtschaftet, wovon schon Frau Krüger gesprochen hatte. Hühner liefen auf dem Misthaufen herum. Das mit roten Ziegeln gedeckte Fachwerkhaus war weiß gekalkt. Rechts und links des zugemauerten vorderen Einganges gab es je zwei Fenster: So ähnlich hatte unser auch ausgesehen. Das Haus von Glashagen machte auch keinen schlechten Eindruck. Die Leute dort trieben gerade zwei oder drei Kühe, die lange Ketten hinter sich herzogen, auf den Hof. Der Mann sah grimmig herüber - er genierte sich wohl - und schimpfte auf polnisch. Es galt zwei Betrunkenen in der Bushaltestelle vor dem Krug. Der eine lallte vor sich hin, der andere lag schon unter der Bank.


Der ehemals Schamunsche Hof

Der Krug ist irgendwann modernisiert worden, das heißt er sieht mit seinem Flachdach und der abblätternden Farbe schlimmer aus als vorher. Der Tanzsaal schien von außen wenig verändert. Auf dem Hof wurden hölzerne Euro-Paletten gezimmert. Die Wiese daneben, wo früher die Dorffeste stattfanden, ist jetzt ein Garten, in dem Kohl wächst. Vom früheren Schießstand ist keine Spur zu erkennen. Der Kackeldeysche Stall auf der anderen Straßenseite liegt genau so da, wie er noch vor Kriegsende ausgebrannt ist. Die Feldsteinmauern werden sicher noch lange stehen bleiben.

Nach einem Blick auf das Bigingssche Haus kehrten wir um und gingen zur Schule hoch. Unser Dorfbrunnen hat jetzt eine Kettenkurbel und befindet sich auf der südlichen Seite des Grabens. Habe ich mich geirrt oder ist es ein neuer? Der Hof von Gleß Ernst kam mir genauso stattlich vor wie früher. Der Dahmsche Hof ist ebenso verschwunden wie der von Wehlers und das Basemersche Haus. Die Schule ist umgebaut worden und außerordentlich häßlich, der Stall auf dem Hof ist verfallen.

Zurückgekehrt stand auch Frau Krüger wieder vor dem Haus. Sie bat uns herein und wir folgten. Drinnen saß ein älterer Mann mit einer verkrüppelten Hand. Waren das kleine Räume! Alles aber wie früher: die Küche, das Zimmer zur Straße, draußen die steile Treppe zum Dach. Ich gab Frau Krüger etwas Geld und wir gingen wieder zum Auto. Wir stiegen ein und fuhren die Dorfstraße hoch. Jetzt sahen wir, was vom Bethgeschen Hof übriggeblieben war. Allein der Stall stand noch, sein Dach war aber schon an mehreren Stellen eingebrochen. Keine Spur vom Wohnhaus und der Scheune. Auf der anderen Straßenseite war auf der Hofstelle des letzten deutschen Bürgermeisters, Damerows Karl, nur Buschwerk zu sehen. Zur Miß hin erblickten wir überrascht einen neuen, stattlichen Hof. Man trieb gerade eine Kuhherde von vielleicht zwölf Tieren auf die Weide. Donnerwetter!

Der Krug
Wir fuhren weiter in Richtung Rummelsburg. Rechter Hand stand ein deutscher VW-Bus auf einem Hügel. Wir hielten. Der Wagen hatte eine Hannoveraner Nummer. Hinten saßen ältere Leute. Ich fragte: "Sind Sie aus Hölkewiese?". "Nein, aus Groß Karzenburg. Kennen Sie sich hier aus? Wo wohnten Bülows?" "Moment, das kann ich Ihnen gleich sagen." Ich holte meine Karte und zeigten ihnen den Weg. Dann fragte ich. Ja, das Pfarrhaus in Groß Karzenburg gäbe es nicht mehr. Die Kirchenbücher seien verschwunden.

Die Chausseebäume waren immer noch die alten Birken. In der Kurve, am Ende der Miß, war der Weg zum Wiesenhof nicht mehr auszumachen. Danach folgten auf beiden Seiten einzelne Höfe, waren es die alten? Buchtal erkannte ich wieder. Wo ging es zu Engelkes? Bald erreichten wir Groß Volz, wo wir an der auf einem steilen Hügel liegenden Kirche, die ich zum ersten Mal bewußt sah, auf den Gutshof fuhren. In weitem Rechteck standen Wirtschaftsgebäude. In einer Ecke, etwas erhöht, ein einfaches Wohnhaus mit einer Treppe in der Mitte, das Herrenhaus? Wir verließen den Ort und kurz danach ging es hinunter nach Rummelsburg. Im Tal lag wie früher der Bahnhof. Die Gebäude weckten in mir keine Erinnerung. Wir suchten die Kirche und fanden sie. Die Stadt kam mir groß vor.

Erst auf dem Rückweg bemerkte ich am Eingang von Hölkewiese die fünf oder sechs neuen Siedlerhöfe linker Hand kurz vor dem ehemaligen Gut. Alle gleich, alle schon angegraut. Wir fuhren noch mal durchs Dorf. Bernds Hof sah auch gut erhalten aus. Danach bog ich von der Groß Karzenburger Chaussee in den Mühlenweg ein. Die Abfahrt war wie früher, jedoch erschien der Weg mir sehr schmal und wenig benutzt. Bald bog er nach rechts: man hatte den alten Weg aufgegeben - er war wohl zu tief ausgefahren - und auf dem Feld rechts daneben einfach eine neue Spur gelegt! Im hohen Gras, mein Audi drohte mehrfach aufzusetzen, fuhren wir einige hundert Meter weiter, hielten und stiegen aus. Auf dem Feld zum Heidberg hin wuchs Roggen. Wir suchten nach der Stelle, wo 1945 die siebzehn SS-Soldaten begraben worden waren. Schwer zu lokalisieren, die alten Arbeitswege sind verschwunden. Auf der östlichen Seite des Mühlenweges war nichts bestellt. Hier wuchs nur kniehohes Kraut. Viele blaue, ultraviolett schimmernde Feldblumen und braune Rispen leuchteten in der Sonne, die gerade jetzt zwischen den noch dunklen Wolken hervor schaute. Es war ein herrliches und doch traurig stimmendes Bild. Durch die noch feuchten Gräser schritten wir ins Feld hinein. Die alte Scheide, die Grenze, wo über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, die aufgesammelten Feldsteine abgelegt worden waren, ließ sich leicht ausmachen. Hier endete das Fehlbergsche Land. Wo wir auch hintraten, lagen Steine. Waren es früher auch so viel gewesen? Ein schlimmer Acker, fürwahr! Dort, neben einer leichten Vertiefung lagen besonders große Findlinge. Das mußte die Sandgrube sein. Hier hatten wir Jungen mit dem Pulver aus Gewehrpatronen geknallt. Hinter der Scheide auf Gleßens Feld gab es doch ein Wasserloch. Wir fanden es wieder. Doch lag es zwischen Bäumen, nicht in freiem Feld wie in meiner Erinnerung. Zurück am Mühlenweg sah ich vor dem Dorf auf einer leichten Erhöhung ein größere Baum- und Strauchgruppe. Wo früher Ackerland, war der Wald auf dem Vormarsch!


Die umgebaute Schule

Von den hohen Tannen des "neuen" Friedhofs sind viele schon eingegangen oder fallen vor dem Kiefernhintergrund nicht mehr auf. Das Eingangstor ist aus Moniereisen primitiv zusammengeschweißt. Links liegen zwei oder drei Reihen neuere, mit Papierblumen geschmückte Gräber. Der große Rest ist mit Büschen und Bäumen überwuchert. Darunter umgestürzte Steine und abgebrochene gußeiserne Kreuze. Manchmal kann man unter Flechten deutsche Worte und Namen entziffern, siehe Gräberliste. Wir suchten nach dem Grab meiner 1915 gestorbenen Großmutter Bertha. Ungefähr wußte ich die Stelle, aber es war vergeblich. Etwas abseits von den polnischen Gräbern - wie schon erwähnt - eine kleine hölzerne Gedenktafel mit ein paar Blumen für Robert Beß, seine Tochter und ein mir unbekanntes Kind.

Jetzt wollte ich nur noch unseren Grand besuchen, wo ich die Kühe gehütet hatte. Wir fuhren auf der Chaussee abwärts. Linker Hand lichter, junger Kiefernwald. Der erste abgehende Weg führte sicher zum Schöntal, wo Völzkes wohnten. Dann kam, kaum erkennbar, ein zweiter. Das mußte er sein. Mutig fuhr ich mit dem Wagen hinein, wieder drohte er jeden Moment steckenzubleiben. Nach hundert Metern machte der Weg einen leichten Bogen. Ich hielt, wir stiegen aus. Die Stelle kannte ich trotz der Bäume und Büsche genau. "Rechts muß gleich ein Steinhaufen kommen. Und ein Stein mit einem Loch!" Ungläubiges Schweigen, dann Erstaunen. Da war er tatsächlich, ein kleiner flacher Hügel faustgroßer Granitfindlinge, die schon von langen Waldgräsern hier und da überwuchert wurden. Den Lochstein suchten wir, fanden aber natürlich nichts. Das wäre auch zuviel gewesen. Wir gingen den Weg weiter. Auch im Sumpfgraben, wo die Kühe auf dem besten Gras, das es hier gab, weideten, wuchsen Sträucher. Richtung Tessentinsee das gleiche Bild. Nur Hummels Felder, schon zu Groß Karzenburg gehörend, waren noch mit Roggen bestandenes Ackerland.

Die Hauptstraße nach Westen

Es hieß an die Rückfahrt denken. Ich wollte den gleichen Weg nehmen wie bei unserem Fußmarsch nach Berlin im Herbst 1945. Die ersten Kilometer waren mir noch vertraut, wenn wir auch in der Eile - es wurde langsam dunkler und wir wollten noch heute nach Hause - keine Spur des Pommernwalls fanden - oder waren das da eben die Reste des Panzergrabens? Groß Karzenburg ist auch im Verfall eine schönes Dorf. Hinter Klein Karzenburg und Porst erreichten wir Bublitz. Aber gleich waren wir durch und weiter ging`s.

Bärwalde habe ich wohl mit Tempelburg verwechselt. In den nächsten größeren Orten hatten wir jeweils Probleme bei der Durchfahrt, denn man wird stets um den Ortskern herumgeleitet. was die Orientierung nicht gerade erleichtert. Hinter Dramburg wollten wir eine Abkürzung nehmen, gerieten im Wald auf immer schmalere Wege, fuhren auf einer Asphaltstraße in die falsche Richtung, kurz, wir hatten uns total verfranzt. Berlinchen (Barlinek) macht mit seinen Stadttoren schon einen märkischen Eindruck. Längs der Straße vor Neudamm erkannte ich den Bahndamm wieder, der in meiner Erinnerung erst hinter Zorndorf kommen sollte. Der Grenzübergang in Küstrin ging jetzt in der Nacht gegen elf Uhr ganz schnell.

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